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Sozialer Einfluss – ist der Mensch ein Herdentier?

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Unser Handeln, unser Denken und unsere Wahrnehmung sind maßgeblich von der Gegenwart anderer beeinflusst. Sicherlich hatten auch Sie schon einmal das Gefühl, dass Sie sich anders verhalten hätten, wenn keine Personen, oder wenn Personen anwesend gewesen wären. Denn allein die Vermutung, wie andere Personen unser Handeln beurteilen könnten, beeinflusst dieses schon. In diesem Artikel wollen wir der Frage näher auf den Grund gehen, wie wir uns von anderen Menschen beeinflussen lassen.

Sozialer Einfluss

Einer der einfachsten sozialen Einflüsse ist die Steigung des Erregungsniveaus durch die bloße Anwesenheit anderer. Vielleicht können Sie sich selbst an einen Vortrag erinnern, den Sie vor vielen Menschen halten mussten. Allein die Tatsache, dass Sie diesen Vortrag nicht allein in Ihrem Zimmer, sondern vor Publikum gehalten haben, ließ Ihr Erregungsniveau ansteigen. Dies wiederum beeinflusste Ihre Leistung. Es konnte gezeigt werden, dass Verhaltensweisen, die sehr einfach und gut eingeübt sind - die sogenannten dominanten Verhaltensweisen -, besser unter einem hohen Erregungsniveau ausgeübt werden können als komplexe Verhaltensweisen. Als Beispiel seien hier Radfahrer bei einem Fahrradrennen genannt. Das Pedaltreten ist eine gut eingeübte und einfache Tätigkeit, die unter einer hohen Erregung besser funktioniert: Die Radfahrer sind schneller. Ist die Aufgabe allerdings noch nicht gut eingeübt, wie z.B. ein Musikstück, das vor Publikum gespielt werden soll oder eine schwere Matheaufgabe, die unter Aufregung in einer mündlichen Prüfung gelöst werden soll, so sinkt die Leistungsfähigkeit. Dies lässt sich dadurch erklären, dass in solchen Situationen das Gehirn versucht auf einfache Verhaltensmuster zurückzugreifen, also auf die dominanten Verhaltensweisen. Gleichzeitig wird allerdings auch registriert, dass diese nicht zum Erfolg führen. So werden diese zwar nicht ausgeführt, doch das Gehirn möchte immer wieder auf sie zugreifen. Dadurch werden die Kreativität und die Flexibilität im Denken gehemmt. Wir haben das Gefühl, dass wir ein Brett vor dem Kopf haben und fühlen uns blockiert.

Ein großer Faktor, der unsere Erregung nach oben schnellen lässt, ist die Angst bewertet zu werden. Doch selbst wenn diese ausbleibt, lässt sich dieses Phänomen noch finden. Selbst bei Kakerlaken konnte dies gezeigt werden:

Das Kakerlaken Experiment

In diesem Experiment konstruierten Forscher zwei Labyrinthe für Kakerlaken. Eines war sehr einfach aufgebaut und bestand aus einem relativ direkten Weg, das andere Labyrinth wies einen viel komplizierten Weg auf. Nun wurde eine Kakerlake an den Beginn des Labyrinths gesetzt. Nachdem eine Lichtquelle angeschaltet wurde, versuchte die Kakerlake durch das Labyrinth ins Dunkle zu fliehen. Die Zeit, die die Kakerlake brauchte, um das Labyrinth zu durchqueren, wurde gemessen. Dies wurde bei beiden Labyrinthen getan. Im zweiten Versuch wurden ganz viele Zuschauerkakerlaken an die Gänge der Labyrinthe gesetzt. Das Prozedere wurde wiederholt und die Zeit wurde gemessen. Die Ergebnisse zeigten, dass das einfache Labyrinth schneller mit Zuschauern durchquert wurde, wohingegen das komplizierte Labyrinth schneller ohne Zuschauer durchquert wurde. Dieses Ergebnis konnte mehrfach repliziert werden. Da davon ausgegangen wird, dass diese Kakerlaken unter keiner Bewertungsangst litten, muss es noch andere Gründe geben, die die Erregung steigern. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass die Anwesenheit anderer immer eine gewisse Möglichkeit darstellt, dass man auf sie reagieren muss. Dies könnte auch das eigene Handeln beeinflussen.

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Soziale Normen

Wenn man über sozialen Einfluss spricht, so ist es wichtig zunächst den Begriff „soziale Norm“ zu definieren. Unter einer sozialen Norm versteht man sozial geteilte Meinungen, wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hat, ohne dass diese von einem Gesetz vorgeschrieben werden. Sie sind also Ausdruck gemeinsamer Erwartungen und Vorstellungen. Normen tragen dazu bei, dass Unsicherheit reduziert wird. Man weiß z.B. dass man in Deutschland mit Messer und Gabel isst und nicht mit den Fingern. Außerdem kann durch Normen individuelles Verhalten koordiniert werden, wie z.B. in dem Fall, dass sich alle Menschen in einer Schlange anstellen. Normen beinhalten eine wertende Komponente. Wenn man sich an die Norm hält, wird man selten gelobt. Wenn man allerdings gegen sie verstößt, wird man schnell negativ bewertet und man muss mit negativen Reaktionen rechnen.

In Sozialpsychologie unterscheidet man zwischen zwei Arten von Normen:

  • 1. Die beschreibende, deskriptive Norm

Sie sagt aus, wie sich Menschen aus einer bestimmten Gruppe (Gesellschaft, Kultur, Subkultur etc.) in einer gegebenen Situation üblicherweise verhalten. Wenn man z.B. in einer Stadt sieht, dass kein Müll herum liegt, so sagt uns die deskriptive Norm, dass der Müll hier in die Mülleimer gehört. Ein weiteres Beispiel könnte Kleidung sein. Wenn trotz höheren Temperaturen niemand in der Innenstadt nur in Bikini oder Badehose herumläuft, so sagt dies aus, dass man normalerweise mehr Kleidung trägt. Tut man aber dies - warum auch immer - nicht, muss man auch keine strenge Sanktionierung befürchten. Deskriptive Normen sind also an der Umwelt ablesbar und nicht direkt an Belohnung oder Strafe verbunden.

  • 2. Die Injunktive Norm

Die zweite Norm ist die injunktive Norm, die nicht direkt an der Umgebung abgelesen werden kann, aber im Detail angibt, welches Verhalten ausgeführt werden sollte. Gehen wir beispielsweise in die Kirche, so wissen wir, dass Ruhe und Andacht erwartet werden. Trotzdem lässt sich dies nicht direkt an der Umgebung ablesen, sondern viel mehr an den Verhaltensweisen der anderen Menschen. Falls wir aber aus der Reihe tanzen, dann können wir fest damit rechnen, auf irgendeine Art und Weise sanktioniert zu werden.

Wie entstehen Normen?

Doch wie entstehen überhaupt Normen? Um diese Frage zu beantworten, führten Forscher ein Experiment durch, bei dem sie sich den „autokinetischen Effekt“ zunutze machten. Unter dem autokinetischen Effekt ist eine Wahrnehmungstäuschung zu verstehen, bei der sich eine stationäre Lichtquelle zu bewegen scheint, wenn keine Bezugspunkte vorhanden sind. Die Aufgabe der Probanden bestand nun darin einzuschätzen, wie stark sich die Lichtquelle bewegen würde. Die Versuchteilnehmer, die ihre Urteile zunächst allein abgaben, entwickelten eine Referenzschätzung (eine persönliche Norm), um die ihre Urteile fluktuierten. Diese persönliche Norm war stabil, aber sie variierte stark von Person zu Person (um mehr als 17 Zentimeter). In den Gruppenphasen des Experiments, in denen Personen mit unterschiedlichen persönlichen Normen zusammengebracht wurden, konvergierten die Urteile der Versuchteilnehmer während der ersten Gruppenschätzung in Richtung auf eine mehr oder weniger gemeinsame Position – eine Gruppennorm. In der umgekehrten Reihenfolge entwickelte sich diese Gruppennorm und blieb dann auch konstant, wenn die Versuchteilnehmer alleine waren. So konnte dieses Experiment eindrücklich zeigen, dass Gruppennormen sehr lange erhalten bleiben und auch noch in andere Gruppen hineingebracht werden können.


Ist Normkonformität immer angebracht?

Wie das oben beschriebene Experiment vor Augen führt, liegen Normen meistens keine allgemein-rationale Begründungen zugrunde. Wenn man Individuen alleine entscheiden lässt, tendieren sie stark dazu, von der Norm abzuweichen. Dies zeigt, wie unterschiedlich und vielfältig die menschliche Psyche veranlagt ist und das ist auch gut so. Wenn auch Normen zur Reduzierung von Komplexität des Lebens und für Zugehörigkeitsgefühle wichtig sind, wissen wir zumindest aus der Geschichte, dass das unhinterfragte, starre Verfolgen von Normen sehr gefärhrlich ist. Diskriminierungen jeglicher Art, Stigmatisierung von Krankheiten, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bzw. Menschenverachtung entspringen psychologisch betrachtet teilweise aus einem Gefühl der Verletzung von einer vermeintlichen Norm, um nur einige gesellschaftliche Beispiele zu nennen. Auch auf individueller Ebene fühlt man sich oft Gruppenzwängen unterworfen, die sich nicht gut anfühlen. Deswegen wird empfohlen, Normen öfters inneren und äußeren Rationalen zu unterziehen und mit Emotionen abzugleichen ("Macht diese Norm für mich in dieser Situation Sinn?", "Wie wird es mir gehen, wenn ich diese Norm erfülle", "Wie wird es meinem Gegenüber/meinen Mitmenschen gehen, wenn ich diesee Norm erfülle?"), eventuelle Ungereimtheiten an- und explizit auszusprechen und eigentverantworlich zu handeln. So kann man sich von potentiell schädlichen Gruppenentscheidungen freisetzen. Gegebenenfalls kann man damit auch Gruppenprozesse anstoßen und neue - im Idealfall - für alle Beteiligten akzeptable Normen etablieren. Denn, wie die nigerianische Schriftstellerin Tess Onwueme meint, "Menschen schaffen soziale Bedingungen, Menschen können sie aber auch verändern."

 

Quellen:

Robin M. Akert, Timothy D. Wilson (2010). Sozialpsychologie. Pearson Deutschland

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