Persönlichkeit entwickeln

Sozialer Einfluss – ist der Mensch ein Herdentier?

14281 Leser / 0 Kommentare
Stern (leer)Stern (leer)Stern (leer)Stern (leer)Stern (leer)

Soziale Normen

Wenn man über sozialen Einfluss spricht, so ist es wichtig zunächst den Begriff „soziale Norm“ zu definieren. Unter einer sozialen Norm versteht man sozial geteilte Meinungen, wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hat, ohne dass diese von einem Gesetz vorgeschrieben werden. Sie sind also Ausdruck gemeinsamer Erwartungen und Vorstellungen. Normen tragen dazu bei, dass Unsicherheit reduziert wird. Man weiß z.B. dass man in Deutschland mit Messer und Gabel isst und nicht mit den Fingern. Außerdem kann durch Normen individuelles Verhalten koordiniert werden, wie z.B. in dem Fall, dass sich alle Menschen in einer Schlange anstellen. Normen beinhalten eine wertende Komponente. Wenn man sich an die Norm hält, wird man selten gelobt. Wenn man allerdings gegen sie verstößt, wird man schnell negativ bewertet und man muss mit negativen Reaktionen rechnen.

In Sozialpsychologie unterscheidet man zwischen zwei Arten von Normen:

  • 1. Die beschreibende, deskriptive Norm

Sie sagt aus, wie sich Menschen aus einer bestimmten Gruppe (Gesellschaft, Kultur, Subkultur etc.) in einer gegebenen Situation üblicherweise verhalten. Wenn man z.B. in einer Stadt sieht, dass kein Müll herum liegt, so sagt uns die deskriptive Norm, dass der Müll hier in die Mülleimer gehört. Ein weiteres Beispiel könnte Kleidung sein. Wenn trotz höheren Temperaturen niemand in der Innenstadt nur in Bikini oder Badehose herumläuft, so sagt dies aus, dass man normalerweise mehr Kleidung trägt. Tut man aber dies - warum auch immer - nicht, muss man auch keine strenge Sanktionierung befürchten. Deskriptive Normen sind also an der Umwelt ablesbar und nicht direkt an Belohnung oder Strafe verbunden.

  • 2. Die Injunktive Norm

Die zweite Norm ist die injunktive Norm, die nicht direkt an der Umgebung abgelesen werden kann, aber im Detail angibt, welches Verhalten ausgeführt werden sollte. Gehen wir beispielsweise in die Kirche, so wissen wir, dass Ruhe und Andacht erwartet werden. Trotzdem lässt sich dies nicht direkt an der Umgebung ablesen, sondern viel mehr an den Verhaltensweisen der anderen Menschen. Falls wir aber aus der Reihe tanzen, dann können wir fest damit rechnen, auf irgendeine Art und Weise sanktioniert zu werden.

Wie entstehen Normen?

Doch wie entstehen überhaupt Normen? Um diese Frage zu beantworten, führten Forscher ein Experiment durch, bei dem sie sich den „autokinetischen Effekt“ zunutze machten. Unter dem autokinetischen Effekt ist eine Wahrnehmungstäuschung zu verstehen, bei der sich eine stationäre Lichtquelle zu bewegen scheint, wenn keine Bezugspunkte vorhanden sind. Die Aufgabe der Probanden bestand nun darin einzuschätzen, wie stark sich die Lichtquelle bewegen würde. Die Versuchteilnehmer, die ihre Urteile zunächst allein abgaben, entwickelten eine Referenzschätzung (eine persönliche Norm), um die ihre Urteile fluktuierten. Diese persönliche Norm war stabil, aber sie variierte stark von Person zu Person (um mehr als 17 Zentimeter). In den Gruppenphasen des Experiments, in denen Personen mit unterschiedlichen persönlichen Normen zusammengebracht wurden, konvergierten die Urteile der Versuchteilnehmer während der ersten Gruppenschätzung in Richtung auf eine mehr oder weniger gemeinsame Position – eine Gruppennorm. In der umgekehrten Reihenfolge entwickelte sich diese Gruppennorm und blieb dann auch konstant, wenn die Versuchteilnehmer alleine waren. So konnte dieses Experiment eindrücklich zeigen, dass Gruppennormen sehr lange erhalten bleiben und auch noch in andere Gruppen hineingebracht werden können.


Ist Normkonformität immer angebracht?

Wie das oben beschriebene Experiment vor Augen führt, liegen Normen meistens keine allgemein-rationale Begründungen zugrunde. Wenn man Individuen alleine entscheiden lässt, tendieren sie stark dazu, von der Norm abzuweichen. Dies zeigt, wie unterschiedlich und vielfältig die menschliche Psyche veranlagt ist und das ist auch gut so. Wenn auch Normen zur Reduzierung von Komplexität des Lebens und für Zugehörigkeitsgefühle wichtig sind, wissen wir zumindest aus der Geschichte, dass das unhinterfragte, starre Verfolgen von Normen sehr gefärhrlich ist. Diskriminierungen jeglicher Art, Stigmatisierung von Krankheiten, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bzw. Menschenverachtung entspringen psychologisch betrachtet teilweise aus einem Gefühl der Verletzung von einer vermeintlichen Norm, um nur einige gesellschaftliche Beispiele zu nennen. Auch auf individueller Ebene fühlt man sich oft Gruppenzwängen unterworfen, die sich nicht gut anfühlen. Deswegen wird empfohlen, Normen öfters inneren und äußeren Rationalen zu unterziehen und mit Emotionen abzugleichen ("Macht diese Norm für mich in dieser Situation Sinn?", "Wie wird es mir gehen, wenn ich diese Norm erfülle", "Wie wird es meinem Gegenüber/meinen Mitmenschen gehen, wenn ich diesee Norm erfülle?"), eventuelle Ungereimtheiten an- und explizit auszusprechen und eigentverantworlich zu handeln. So kann man sich von potentiell schädlichen Gruppenentscheidungen freisetzen. Gegebenenfalls kann man damit auch Gruppenprozesse anstoßen und neue - im Idealfall - für alle Beteiligten akzeptable Normen etablieren. Denn, wie die nigerianische Schriftstellerin Tess Onwueme meint, "Menschen schaffen soziale Bedingungen, Menschen können sie aber auch verändern."

 

Quellen:

Robin M. Akert, Timothy D. Wilson (2010). Sozialpsychologie. Pearson Deutschland

Seite 1 2 / Auf einer Seite lesen / PDF Download

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Bewertung des Artikels:
Stern (leer)Stern (leer)Stern (leer)Stern (leer)Stern (leer)