Persönlichkeit entwickeln

Resilienz – Was uns nicht umbringt, macht uns stärker

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Ein Zitat von Nietzsche lautet: "Was mich nicht umbringt, macht mich stärker." Resilienz, so der Fachbegriff für psychische Widerstandsfähigkeit, hilft uns, Herausforderungen und Schicksalsschläge zu überwinden und als Teil der eigenen menschlichen Weiterentwicklung zu betrachten. Das "Immunsystem der Seele" kann zudem bewusst gestärkt werden.

Beim Stöbern in der Buchhandlung vor einigen Tagen fiel mir ein Buch von Viktor Frankl in die Hände, einem Psychologen, der das Konzentrationslager überlebte und seine Erinnerungen in diesem Buch verarbeitete. Es sind Persönlichkeiten wie Frankl, die unter den schwersten Bedingungen "trotzdem ja zum Leben sagen". Es sind Menschen aus dem eigenen Familien- oder Bekanntenkreis, die schwere Schicksalsschläge hinnehmen mussten und trotzdem wieder auf die Beine kamen, die wieder einen Sinn im Leben sehen und sich mit ihrem Schicksal versöhnt haben. Menschen, bei denen man sich ehrfürchtig fragt: Wie schaffen sie es, in Krisen nicht zu zerbrechen? Wie schaffen sie es, immer daran zu denken, dass das Leben weitergehen wird, auch wenn es uns manchmal in die Knie zwingt?

Diese Widerstandsfähigkeit der Psyche wird auch Resilienz genannt. Damit ist die Fähigkeit gemeint, äußere Lebenseinflüsse wie etwa Krisen zu bewältigen und diese als Teil der eigenen menschlichen Weiterentwicklung und Reifung zu betrachten. Aufgekommen ist das psychologische Forschungsinteresse an diesem Bereich etwa in den 70er Jahren. Eine Reihe von Studien beschäftigte sich mit der Entwicklung von Kindern aus schwierigen Bedingungen (etwa ärmlichen oder zerrütteten Familienverhältnissen) oder Kindern mit Flüchtlingsstatus. Etwa ein Drittel dieser Kinder ist nämlich trotz widrigster Umstände zu autonomen, strebsamen und erfolgreichen Persönlichkeiten herangewachsen. Dadurch wurde deutlich, dass eine schwierige Kindheit oder auch Jugend keine Verhaltensauffälligkeiten und andere negative Entwicklungen im Erwachsenenalter prädestiniert, sondern mithilfe von inneren und äußeren Ressourcen eine gesunde Entwicklung erreicht werden kann.

Hinfallen und wieder aufstehen

Unser ganzes Leben hindurch erfahren wir Konfrontationen und Konflikte, die wir meistern müssen: als junge Erwachsene eine eigene Identität ausbilden, selbstständiger und unabhängiger von den Eltern werden, seinen beruflichen Weg gehen, die Familie zusammenhalten, später in Würde altern. Und abseits dieses "normalen" Lebenslaufs gibt es noch größere und drastischere Hürden im Leben, etwa eine belastende Trennung, eine schwerwiegende Erkrankung, der Verlust eines geliebten Menschen oder eine unerwartete Kündigung. Da helfen selbst tröstende Worte kaum, ein "wird schon wieder" scheint der Tragweite der Situation nicht gerecht zu werden. Solche Ereignisse sind erschütternd und werfen uns aus der Bahn. Sie erschüttern unsere Vorstellung einer gerechten Welt. Oft denken wir: Warum stößt mir so etwas zu? Was habe ich gemacht, um so etwas zu verdienen? Warum kann nicht alles ganz anders sein? Diese Ereignisse überschatten unser Leben und wir verspüren eine Bandbreite an Gefühlen, oft Traurigkeit, Hilflosigkeit und auch Wut. Und mit der Zeit gesellt sich zur schmerzhaften Erfahrung die Hoffnung, die uns wieder aufstehen und weitergehen lässt, und die Erkenntnis, dass es Dinge und vor allem Menschen gibt, für die es sich weiterzumachen lohnt.

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Auch in Krisen einen Sinn sehen: was resiliente Menschen kennzeichnet

Dem eigenen Schicksal ist man nicht einfach ausgeliefert – davon sind vor allem Menschen überzeugt, die in Krisensituationen besonders "zäh", eben resilient, sind. Sie glauben daran, auch in schweren Zeiten die Dinge selbst in der Hand zu haben, das eigene Schicksal nicht einfach passiv und hilflos hinnehmen zu müssen, sondern es aktiv bewältigen und auf eine bessere Lebenssituation zuarbeiten können. Sie geben nicht auf, sondern richten den Blick nach vorne und schöpfen Kraft von innen (durch Akzeptanz, positiven Zuspruch, Selbstvertrauen etc.) und außen (durch nahestehende Menschen, psychologische Hilfe etc.). Die gegenwärtigen Umstände werden als das angenommen, was sie sind; resiliente Menschen machen sie zum Ausgangspunkt für weitere Handlungsschritte und arbeiten mit ihnen. Sie entwickeln also auch aus der gegebenen Situation einen eigenen Handlungsspielraum, anstatt sich nur in Gedanken eine andere Gegenwart herbeizuwünschen. Sie wachsen also in Krisen und sehen darin sogar Möglichkeiten zu Veränderungen zum Guten.

 

Gedanken, die die eigene Resilienz stärken können

Wie resilient ein Mensch ist, hängt nicht von Glück oder Zufall und auch nicht nur von der genetischen Veranlagung ab – darin sind sich heute viele Forscher einig. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass alle Menschen eine gewisse Widerstandsfähigkeit in sich tragen. Menschen unterscheiden sich lediglich darin, wie gut sie helfende Ressourcen in ihrem Inneren und ihrem Umfeld mobilisieren können – manche schaffen das von Grund auf gut, andere wiederum kostet eine bewusste Förderung dieses Prozesses mehr Überwindung oder auch eine Hilfestellung von außen.

Den eigenen Blickwinkel hinterfragen

Ein entscheidender Faktor ist der eigene Standpunkt, den man zu jenen Situationen einnimmt, die schwer zu bewältigen sind. Ein erster Schritt kann also sein, auch größeres Leid als etwas zu betrachten, was zum Leben dazu gehört – es ist der tapfere Umgang mit diesem Leid, der oft die größte Aufgabe darstellt. Schmerz und Enttäuschung sind im Leben unvermeidlich, doch sie bieten auch Chancen, indem sie neue Entwicklungen anstoßen können und sich nach ihrer Überwindung als wertvolle, lehrreiche Erfahrungen in die eigene Identität integrieren.

Was uns nicht umbringt, kann uns eben doch ein bisschen stärken. Ein hilfreicher Gedanke für kleinere Krisen lehnt sich an das 80/20-Prinzip an: Ohne die 20 Prozent der Erfahrungen, die unangenehm, schwierig und  widerstrebend sind, gäbe es die anderen 80 Prozent nicht, die uns mit Freude und Sinnhaftigkeit im Leben erfüllen. Manchmal mag uns der unangenehme Teil der Gleichung als weitaus größer als nur 20 Prozent erscheinen – und doch gibt es immer diesen anderen Teil, für den es sich lohnt, eine dicke Haut zu zeigen und sich durch das Unangenehme durchzubeißen.

Solche Denkansätze können dabei helfen, sich bewusst von der Vorstellung zu verabschieden, dass alles jederzeit möglichst reibungslos ablaufen möge. Nicht selten wird ein beträchtlicher Anteil des Schmerzes von dem Wunsch verursacht, alles möge doch anders sein. Dieses Grübeln kostet immens viel Kraft und zielt an dem Hier und Jetzt vorbei. Akzeptanz ist hier der Schlüssel für Veränderung. Manchmal muss man beide Füße fest auf den Boden stellen und sich sagen: es ist jetzt, wie es ist. Und vom Punkt dieser Einsicht aus kann der Blick nach vorne gerichtet werden. Denn weiter geht es nur im Vorwärtsgang.

 

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Sich auf bereits gemeisterte Krisen berufen

Eine anderer Gedanke, der Mut geben kann, ist eine Langzeitperspektive einzunehmen und sich auf seine früheren Erfahrungen zu berufen:

„Ich schaffe das. Es gab in der Vergangenheit bereits Situationen, die aussichtlos erschienen. Und doch ging es weiter.“

„Ich werde auch hier eine Lösung finden. Es gibt einen Weg und ich will ihn gehen.“

„Es hat immer irgendwie geklappt und es wird auch diesmal klappen.“

„Ich habe Menschen, die mich unterstützen und es ist okay, sich ihnen anzuvertrauen und sie um Hilfe zu bitten.“

Diese Perspektive kann dabei helfen, sich daran zu erinnern, dass man schon Schlimmeres überstanden hat und auch dass manche Herausforderungen einem im Nachhinein oft nicht mehr ganz so bedrohlich erschienen. Und schließlich haben uns die Gesamtheit unserer Erfahrungen, die guten wie die schlechten, zu dem Menschen gemacht, der wir heute sind.

 

Gefühle sind menschlich

Schließlich sollte man nicht vergessen, dass es menschlich ist, etwa Trauer und Zweifel zu verspüren und Angst zu haben. Denn es geht nicht darum, keine Angst und keine Zweifel zu haben, sondern etwas gerade trotz dieser Angst und Zweifel zu wagen. Wenn sich eine schwierige Situation auftut, kann man ihr so besser ins Auge sehen und sie bewältigen, anstatt sie möglichst beseitigen und wegschieben zu wollen, um diese Gefühle zu vermeiden. Trauer, Wut, Angst und Zweifel – sie haben Platz, brauchen Zeit und sind Teil des Prozesses. Indem sie als diesen Teil akzeptiert werden, kann ihnen ihre lähmende Kraft genommen werden.

 

... auf zu neuen Ufern!

Man kann sich diesen Prozess des Lernens und Überwindens wie einen Sumpf vorstellen. Manchmal muss man durch den Sumpf waten, um ans nächste Ufer zu gelangen – und dort sieht es meistens ganz anders aus als am zurückliegenden Ufer, denn man hat ein neues Gebiet erschlossen und auf dem Weg dahin viel mitgenommen. Man ist gewachsen, gereift, man hat aus Fehlern gelernt und sich weiter entwickelt, vielleicht ist man sogar ein Stück weit robuster geworden und schließlich angekommen, an einem neuen Wohlfühlufer.

Autor: Marlene Heinzle (Impulsdialog)

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Ein Kommentar

Ich fand den Artikel sehr inspirierend. Obwohl mir der Begriff "Resilienz" nicht bekannt war, kennt, denke ich, jeder den Umstand, das manche Menschen geistig erstaunlich "stark" sind. Ich finde es vor allem wichtig zu betonen, dass sich die Resilienzfähigkeit individuell unterscheidet und dass, wenn eine Person eine Situation nicht meistert, die andere gut überstehen, sie deshalb nicht "Schwach" ist oder "Sich mal zusammenreißen" soll. Ein interessanter Einblick in die Welt der Psychologie.
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JuliaS

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