Schwere Diagnosen und schlimme Krankheiten verändern nicht nur unser Leben, sondern können auch unser emotionales Gleichgewicht durcheinander bringen. Nach einer Zeit der Traumatisierung, sollte jedoch Akzeptanz und das emotionale Gleichgewicht wieder einkehren. Was ist dabei zu beachten und welche Rolle spielt Sinnhaftigkeit?
Zuerst ist es wichtig, die tatsächlichen Folgen einer Erkrankung, den tatsächlichen Verlust nicht zu beschönigen, sondern nach und nach zu bilanzieren. Unmäßig optimistisch sein hilft meist nur in den Akutphasen.
Zu späteren Zeitpunkten steht die Stärkung des Selbstwertgefühls des Betroffenen, die emotionale Unterstützung, aber auch die Vermittlung konkreter praktischer Hilfen im Vordergrund. Ein wichtiger Ansatzpunkt für die psychische Verarbeitung der Erkrankung und ihrer Folgen ist die Veränderung der Sichtweise.
„Krankheit kann uns alle lehren, ein erfülltes, gesünderes Leben zu führen. Krankheit bedroht das Leben, aber sie weist auch auf, was lebenswert ist.“
... sagt der Medizinsoziologe Arthur W. Frank (Frank 1991). Indem die Krankheit uns die Verletzlichkeit der menschlichen Existenz vor Augen führt, kann sie – trotz Schmerz und Leid – mehr Klarheit in die Art und Weise bringen, wie Menschen ihr Leben führen. Für Frank liegt die Chance, die eine Krankheit beinhaltet, gerade darin „zu erkennen, dass wir, obwohl die Krankheit einfach geschieht, ihre Erfahrung dazu benutzen können, unserem Leben eine Bedeutung zu geben.“ Er vertritt die Auffassung, dass „Krankheit eine Gelegenheit zur Selbstreflexion biete[t], die nur hier zu finden ist“, dennoch sei die „Krankheit […] keine Art von Erleuchtung“ (Frank 1991).
Bei der Veränderung der Sichtweise hilft vielen Betroffenen der Vergleich mit anderen Menschen, die schwere Schicksale zu tragen haben. Viele Betroffene berichten, dass sie selbst zuvor nie wahrgenommen hatten, wie viele Menschen mit einer schweren Erkrankung und deren Folgen zurechtkommen müssen. Erst durch die eigene Erkrankung eröffnet sich eine neue Sichtweise. Eine wichtige Sichtweise stellt für Viktor Frankl die Sinnfrage dar. Er stellt heraus, dass die Notwendigkeit für und die Frage nach dem Sinn („logos“) insbesondere dann entsteht, wenn der Mensch schwer leidet. Er erfuhr dies von sterbenden Menschen wie auch von Überlebenden der Konzentrationslager – ein Schicksal, was er selbst teilte (Frankl 2005, Frankl 1997). Frankl ist davon überzeugt, dass auch im Leiden noch eine Sinnmöglichkeit liegt. Der „Wille zum Sinn“ sei dabei sehr wichtig für das Menschsein. Es geht ihm dabei nicht um das Ertragen von Dingen, die zu ändern sind. Frankl sieht eine Ressource darin, dass ein Mensch im Falle starker äußerer Einschränkungen, z.B. Trauer, Gefängnis oder eben schwer Erkrankung, immer noch eine bestimmte Haltung gegenüber seinem Schicksal einnehmen könne. Dadurch könne ein Mensch „eine ausweglose Situation menschlich gesehen noch in eine Leistung verwandeln“. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn im Leben – und dies ist Frankl besonders wichtig – kann immer nur eine konkrete Antwort dieser Person in ihrer jetzigen Situation sein (Frankl 1997).
Daraus folgt: Die Interpretation des Sinns einer Erkrankung oder Leidens kann nur die betreffende Person selbst finden. Sie kann und darf ihr nicht durch andere auferlegt werden.
Sinn ist immer individuell und abhängig von:
- der aktuellen Situation
- Werten die eine Person verwirklichen möchte
- Ziele die eine Person in ihrem Leben hat
Ein Sinn oder eine Bedeutsamkeit können helfen, eine Handlungsrichtung zu geben. Eine Bedeutung im Leben zu finden gibt dem Leben Wert und Grund. Sie kann ein Antrieb darstellen, sich emotional zu engagieren, sich einer Sache hinzugeben und neue Ziele für sich zu finden (Frankl 1997).
Die Frage nach dem Sinn und Bedeutung bei einer Erkrankung kann dabei natürlich schwierig sein. Eine rein medizinische Erklärung ist dabei meist nicht zufriedenstellend. Dazu ein Zitat von Treya Wilber, die ihre Problematik in folgende Worte fasst:
„So etwas wie einen vorherbestimmten Sinn meiner Krebserkrankung gab es letztlich wohl wirklich nicht, aber die schulmedizinische Deutung, die nichts als eine Zufallskombination verschiedener materieller Faktoren hinter einer solchen Erkrankung sieht, befriedigte mich erst recht nicht. Das mag auf einer Ebene eine angemessene und zutreffende Deutung sein, aber für mich griff sie zu kurz. Ich wollte – und brauchte – einen Sinn und Zweck dieser Erfahrung. Und das konnte für mich nur dadurch geschehen, dass ich so tat, als hätte sie diesen Sinn, indem ich sie durch mein Denken und Handeln mit diesem Sinn erfüllte“
(Wilber, K. Mut und Gnade. In einer Krankheit zum Tode bewährt sich eine große Liebe – das Leben und Sterben der Treya Wilber. Scherz; Bern 1992). Das Buch von ihr und ihrem Mann über den Umgang mit ih- rer Krebserkrankung ist sehr zu empfehlen.
Weiterführende Links:
E-Learning: Achtsamkeit
Foto: Uwe Leder
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