Einschlägige Meinungen über (online) Computer- bzw. Videospiele, ihre Nutzer und speziell deren Sozialleben gibt es viele. Allerdings ist die Wirklichkeit, wie so oft, auch in diesem Bereich komplexer und überraschender als stereotype Vorstellungen vermuten lassen. Neuere Studien zeigen interessante Zusammenhänge auf.
Aktuellen Statistiken zufolge spielt in Deutschland mehr als 1/8 der Bevölkerung Onlinespiele (das entspricht 12,94 Mio. Menschen). Stetem Wachstum unterliegt demnach auch der Umsatz mit Onlinespielen. Dieser wird Prognosen zufolge in den nächsten 3 Jahren um weitere 60 Mio. € auf 365 Mio. € ansteigen. Für deutsche Wissenschaftler sind diese gewaltigen Zahlen Grund genug, das Themengebiet Onlinespiele näher zu erforschen – besonders deren Konsequenzen für das Sozialleben, dessen maßgeblich interessierende Facette Freundschaftsbeziehungen darstellen.
Gute Gründe für das Spielen?
In Umfragen haben Spieler berichtet, dass ihnen die soziale Seite von Spielen (die allgemeine, als auch die spielbezogene Interaktion miteinander über das Internet) wichtig ist und sogar eine der stärksten Motivationsquellen für das Spielen darstellt.
Moderne Lebenswelten
Wer kennt es nicht? Durch einen Umzug entfernt man sich von nahestehenden Personen und sieht sich mit der Situation konfrontiert, dass bis dahin miteinander geteilte Beschäftigungen durch die räumliche Distanz unterbunden werden. Vorher hat man sich von Zeit zu Zeit beispielsweise zum gemeinsamen Fußballspielen getroffen. Nun fällt diese Möglichkeit gemeinsam zu agieren weg. Im digitalen Zeitalter stellen Onlinespiele eine Option dar, um auch weiterhin Zeit mit gemeinsamen spielerischen Aktivitäten zu verbringen.
Eine weitere Konstellation, bei welcher der soziale Aspekt virtuellen Spielvergnügens besonders bedeutsam ist, stellt das Knüpfen oder Vertiefen neuer Kontakte dar. In beschriebenem Szenario entfernt man sich nicht nur von nahestehenden Personen, sondern findet sich in einem neuen Umfeld voller zumeist fremder Personen wieder. Hierbei ist die gemeinsame Onlineaktivität gut als beziehungsfestigende Komponente vorstellbar. Man verabredet sich dazu, tauscht sich während des Spielens aus, lernt sich so näher kennen, entdeckt weitere Kontaktmöglichkeiten und festigt – sozusagen spielend – seine Beziehung. Von reinen Onlinebekanntschaften und -freundschaften ganz zu schweigen, welche ebenso gut wie persönliche Beziehungen ermöglichen, sich über persönliche Themen auszutauschen und so, mit Blick auf psychologische Wirkfaktoren, denselben seelsorgerlichen Wert haben können.
Soziales Kapital
Ein zentrales Konzept, das in Beschreibungen und der Erforschung zwischenmenschlicher Beziehungen häufig auftaucht, ist das „Soziale Kapital“. Hinter diesem Begriff steckt der Gedanke, dass, ähnlich wie Gegenstände (physisches Kapital) und Kompetenzen bzw. Bildung (Humankapital), auch soziale Kontakte das Leistungsvermögen einer Person beeinflussen können. Soziale Netzwerke haben insofern eine Art quantifizierbaren Wert. Inhaltlich spricht man davon, dass dieses soziale Kapital die Früchte sozialer Beziehungen darstellt. Es umfasst deshalb Gewinne im Hinblick auf den Umgang mit anderen Personen (Vertrauen, Rückhalt durch geteilte soziale Normen, etc.). Übertragen auf die virtuelle Welt, kann man also auch dort davon sprechen, dass online aktive Personen, indem sie sich mit anderen verbinden und anfreunden, soziales Kapital aufbauen.
Onlinespiele und soziale Unterstützung – Studie 1
Eine interessante Frage ist , ob dieses online bestehende soziale Kapital auch in offline erfahrene soziale Unterstützung mündet. Mit anderen Worten: Beeinflusst bei Personen, die man auch im „realen Leben“ kennt, die Beziehungspflege im virtuellen Raum auch die offline Beziehung positiv?
Zur Beantwortung dieser Frage, untersuchte man in einer groß angelegten online Befragung 811 Spieler, die in der Electronics Sports League (ESL) aktiv waren, einer Wettkampf-Liga für Computerspiele. Die Wissenschaftler führten Messungen mehrerer Indikatoren für soziales Kapital innerhalb virtueller Spielgemeinschaften (sogenannter „Clans“) durch. Es zeigte sich, dass soziale Nähe (gegenseitige Erreichbarkeit mit Bezug auf organisatorischen Kontakt im Clan) und Vertrautheit (Häufigkeit der online Begegnung zum gemeinsamen Üben) sich positiv auswirken auf die Erschließung sozialen Kapitals – die (zunächst) schwächere Beziehungen beinhaltet, in welchen sich die Interaktionspartner als übereinander informiert und voneinander inspiriert empfinden. Eine zweite Dimension sozialen Kapitals, die Festigung sozialen Kapitals – die starke soziale Bindungen beinhaltet, welche emotionale Unterstützung bieten und eine Verständnisquelle darstellen – wurde ebenfalls positiv befördert durch soziale Nähe, Vertrautheit und darüber hinaus durch räumliche Nähe (u. a. Häufigkeit von offline Treffen zum gemeinsamen Üben). Bezugnehmend auf die am Anfang genannte Frage, stellte sich heraus, dass beide Dimensionen sozialen Kapitals (Erschließung und Festigung) in positiver Beziehung zur offline gewährten sozialen Unterstützung stehen. Das bedeutet konkret, dass sich
Spieler, die durch ihre spielbasierte Beziehung zueinander soziale Nähe und Vertrautheit aufbauen und sich zudem vielleicht noch räumlich nahe sind, soziales Kapital anhäufen, welches schließlich darin mündet, dass sie sich unabhängig vom Onlinespiel gegenseitig unterstützen in Form von:
- Unterstützung durch Informationen (Ratschläge),
- Emotionale Unterstützung (Rückversicherung, Zuhören) und
- Unterstützung durch konkrete Handlungen (Hilfe).
Soziale Online Spiele und offline Freundschaften – Studie 2
Nun mag sich der ein oder andere fragen, ob diese Beziehungen, die Onlinespieler aufbauen und die, wie eben gesehen, in reale Unterstützung münden können, wirklich nicht den Aufbau und die Pflege klassischer Freundschaften gefährden. Untergraben sie die Fähigkeit zu „richtigen“ Freundschaften?
Zur Beantwortung, ob derartige (häufig anzutreffende) Zweifel angebracht sind und ob vielleicht sogar innerhalb einer bestehenden engen Beziehung ein Wechsel zwischen online und offline Freundschaft (und umgekehrt) zu beobachten ist, wie im Einleitungsteil vorausgesetzt, untersuchten Wissenschaftler eine repräsentative Gruppe von 2213 Onlinespielern und 287 Nichtspielern aus Deutschland. Sie erfragten dazu Informationen zum Alltagsleben und zu den spielbasierten Beziehungen.
Es stelle sich heraus, dass sich Spieler sozialer Onlinespiele hinsichtlich der Zahl ihrer engen Freunde nicht von Spielern anderer Computerspiele und Nicht-Spielern unterscheiden. Allerdings bestätigte sich die naheliegende Annahme, dass die Häufigkeit des Spielens sozialer Onlinespiele die Wahrscheinlichkeit ausschließlich online Freunde zu treffen erhöht. Dies ist logisch, da der Tag nur eine begrenzte Zeitspanne bietet und jede Tätigkeit, die für andere Tätigkeiten zur Verfügung stehende Zeitspanne reduziert. Spieler, die jedoch über ein ausgeprägtes Motiv zum Aufbauen sozialen Kapitals und zum Spielen von Teamspielen verfügen, weisen die höchste Wahrscheinlichkeit auf, ihre soziale Beziehung aus dem Internet irgendwann in den offline Kontext zu verschieben. Dass dieser Transformationsprozess stark von den Motiven des Spielers abhängt, wurde unter anderem daran deutlich, dass die Zeit, wie lange jemand schon in der virtuellen Welt aktiv ist, in keiner Verbindung zu diesem stand.
Die Autoren fassen ihre Ergebnisse mir den Worten zusammen, dass Spieler sozialer Onlinespiele hinsichtlich sozialer Beziehungen gut integriert sind und die Spiele nutzen um Zeit mit alten Freunden zu verbringen und neue Freunde zu gewinnen.
Nüchterner Blick – Bekannte Gefahren
Trotz dieser beruhigenden und zum Teil sogar ermutigenden Befunde, sind dennoch auch bestätigte negative Konsequenzen von Onlinespielen bekannt. So wiesen Forscher, wie bereits weiter oben deutlich geworden, zum einen ein erhöhtes Risiko für Isolation im offline Kontext nach, was vor allem bei jungen Nutzern eine Gefahr darzustellen scheint. Zum anderen konnten auch schon Zusammenhänge von Onlinespielen und exzessivem Spielen bis hin zur Entwicklung einer Spielsucht nachgewiesen werden, wofür allerdings noch weitere Forschung zum Erkunden konkreterer Risikofaktoren nötig ist.
Fazit
Es kann also keine allgemeingültige Antwort darauf geben, ob Onlinespiele das Sozialleben grundsätzlich positiv oder negativ beeinflussen, da dies sehr von der individuellen Situation (einschließlich der Person) abhängig ist. Allerdings kann man unter entsprechenden Umständen ruhigen Gewissens zur Beziehungspflege auf diese Möglichkeit zurückgreifen. Ernsthaft problematisch wird dieses Verhalten wohl erst, wenn sich durch sehr hohen Zeitaufwand starke negative Konsequenzen in mehreren anderen Lebensbereichen abzeichnen oder Zeichen abhängigen Verhaltens auftreten.
Zur weiteren Lektüre empfehlen wir deshalb die sinnverwandten Artikel Gruppenzwang und Facebook und Sind wir Facebooksüchtig. Schauen Sie sich bei Interesse doch auch unseren wissenschaftlich basierten Selbsttest Facebookabhängigkeit an. In Kürze soll außerdem ein Artikel zu abhängigem Verhalten folgen, der womöglich einige Ihrer weiteren Fragen beantworten wird. Schauen Sie doch einfach demnächst wieder auf unserer Webseite vorbei (edit: Abhängigkeit - Im Sog des Verlangens).
Autor: Maximilian Sonntag (Impulsdialog)
Quellen:
www.statista.com
Trepte, S., Reinecke, L., & Juechems, K. (2012). The social side of gaming: How playing online computer games creates online and offline social support. Computers In Human Behavior, 28(3), 832-839. doi:10.1016/j.chb.2011.12.003
Domahidi, E., Festl, R., & Quandt, T. (2014). To dwell among gamers: Investigating the relationship between social online game use and gaming-related friendships. Computers In Human Behavior, 35, 107-115. doi:10.1016/j.chb.2014.02.023
Anmerkung des Autors:
Das der leichteren Lesbarkeit halber verwendete generische Maskulinum („Spieler“ etc.) schließt sämtliche sexuelle Identitäten ein und soll insofern nicht als Form sozialer Diskriminierung missverstanden werden.
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