Neid ist die Nummer sechs der sogenannten sieben Todsünden. Er ist berüchtigt dafür, dass er Freundschaften vernichtet, Gesellschaften spaltet und dabei stets negative Gefühle erzeugt. Doch in der modernen Neidforschung zeigt sich der Neid mittlerweile von seiner (teilweise) besseren Seite.
Aus vielen Märchen unserer Kindheit ist er uns bekannt - der Neid. Ob Schneewittchen, die von ihrer Stiefmutter um ihre Schönheit beneidet wird oder die jungen Brüder im Märchen „Tischlein deck‘ dich“, die vom Wirt im Gasthaus beobachtet werden und der ihnen folglich ihre Wundergegenstände und -tiere neidet. Beide Märchen beschäftigen sich mit dem Thema, was die Folgerung zulässt, dass Neid nicht nur Erwachsene betrifft, sondern auch schon in der Kindheit eine wichtige Rolle spielt. Dank der Märchen können auch schon die Kleinsten mit diesem Thema etwas anfangen.
Ein Abriss zur Forschung
Dass wir Menschen neidisch sind, ist nun bekannt. Jeder war es schon einmal, Neider oder Beneideter. Warum ist das so? Professor Antonio Cabrales von der Carlos III Universität in Madrid meint dazu, dass der Neid in unseren Genen liegt. Objektiv betrachtet kann Neid jedoch auch ein Antriebsmotor in Form von Ehrgeiz und Motivation darstellen. Immerhin half uns der Neid bestimmte Entdeckungen zu machen, die uns so vorher nicht aufgefallen wären - Thomas Edison handelte zum Beispiel aus Neid auf Nikola Tesla. Neid kann man als eine Art Ansporn verstehen, der in der Evolution eine bestimmte Rolle spielte. Er überzeugt zum Wettstreit, egal ob es dabei um Technik, Wissenschaft oder auch um Fortpflanzung geht. Er ist es, der den Menschen anstrebt, mehr zu geben, um besser zu sein. Dr. Rolf Haubl, Professor für Soziologie und Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt, betrachtet den Neid ebenfalls aus einer eher neutralen Sicht: „Ich sehe das von mir begehrte Gut im Besitz eines Anderen und muss mit der Tatsache fertig werden, dass ich dieses Gut nicht bekommen kann.“
Lange Zeit wurde das Thema Neid von Wissenschaftlern links liegen gelassen, doch inzwischen interessieren sich neben Emotionspsychologen besonders Politiker und Wirtschaftsexperten für das zerstörerische Gefühl. „Neid ist eine komplexe Emotion. Sie enthält als Hauptkomponenten Ärger und Wut sowie Traurigkeit“, erklärt Professor Haubl. In einer Befragung mit 2500 Teilnehmern aus Ost- und Westdeutschland untersuchten die Wissenschaftler das Phänomen des Neides in der Gegenwartsgesellschaft. „Frauen gaben deutlich häufiger als Männer an, dass sie traurig sind, wenn sie das begehrte Gut im Besitz anderer sehen.“ Männer dagegen ärgern sich lieber. “Depressiv lähmend” nennt der Forscher diese geschlechtsspezifische Neidreaktion. Des Weiteren gibt es die “empört rechtens” Neidreaktion, hinter der sich das Begehren nach mehr Gerechtigkeit verbirgt. „Seit der Antike gibt es immer wieder dieselbe Figur: Privilegierte der Gesellschaft tendieren dazu, das Begehren Unterprivilegierter als Neid und damit als ungerechtfertigt darzustellen, während Unterprivilegierte das Interesse haben, ihr Begehren als Forderung nach mehr Gerechtigkeit anzusehen“, meint Haubl.
Haubl bestätigt daneben auch die Form des positiven Neides: Der ehrgeizig stimulierende oder konstruktive Neid. Dieser heizt nicht nur den Konsumwunsch an, sondern kann auch das Interesse von Besitz zu einem Interesse des Übertreffens verlagern. Die Grenze zwischen Positivem und Negativem ist jedoch schmal. Neid ist aber nicht nur ein Ansporn, sondern kann auch krank machen. Neue Forschungsergebnisse zeigten zum Beispiel, dass ein Zusammenhang zwischen Neid und der Neigung zu Depressionen besteht. Ebenso wurde festgestellt, dass Neid zwar kurzfristig die Konzentration steigert, aber längerfristig die Ausdauer bei Denkaufgaben stark reduziert - kurzum: Man gibt sich eher geschlagen und nimmt schneller schlechte Ergebnisse in Kauf.
Die Wirkung von Neid
Wie schon angedeutet, kann Neid in Verbindung mit psychischen Erkrankungen gebracht werden. Aber Neid hat auch andere Folgen. Laut einer Umfrage der Apothekenumschau verursacht Neid nicht nur depressive Verstimmung sondern auch körperliche Beschwerden. Dazu gehören Magenschmerzen, Schlafstörungen, Herzrasen und so weiter. Neuronal, also im Gehirn, liegen Schmerzzentrum und der Ort, der mit Neid in Verbindung gebracht wird recht nah beieinander, was durchaus solche Schmerzen begünstigen kann. Neid hat aber auch soziale Folgen, denn wer möchte schon mit jemandem befreundet sein, der stets und ständig neidisch ist? Neidische Menschen sind laut einigen Untersuchungen eher feindselig, was wiederum mit Verärgerung und Aggressionen einhergeht. Als Gegenpol des Neids wird die Dankbarkeit gesehen. Eine Emotion, die durchaus mit vielen sozialen Kontakten und sozialer Unterstützung einhergeht.
Woher kommt der Neid?
Wer sich vor Neid schützen will, der sollte ein stabiles Selbstbewusstsein haben. Denn Neid ist nicht nur genetisch veranlagt, sondern wird vor allem durch die Sozialisation des Menschen bestimmt. „Menschen, die permanent mit dem Gefühl aufwachsen, zu wenig zu bekommen, tendieren eher zu Neidgefühlen“, meint Professor Haubl. Wichtig ist es in jedem Fall, sich auf die „produktive“ Seite des Neides zu konzentrieren. „Lassen sie den Neid zu. Finden Sie heraus, was er über Sie aussagt“, empfiehlt er. „Und machen Sie sich klar: Sie haben es selbst in der Hand, sich mit denen zu vergleichen, die mehr haben, oder mit denen, die weniger haben.“ Viele Psychoanalytiker haben sich ebenfalls mit dem Thema Neid beschäftigt. Freud bemerkt, dass der Neid ursprünglich aus der Geschwisterbeziehung herrührt. Viele kennen zum Beispiel den klassischen Fressneid der nicht selten bei Geschwistern auftaucht und in dem man immer genau das haben will, was der andere gerade auf dem Teller hat. Einige Autoren gehen dabei von einer angeborenen Emotion aus, andere wiederum von einer erlernten. Beispielsweise postulieren verschiedene Emotionspsychologen, dass Neid sich etwa im zweiten Lebensjahr entwickelt, wenn sich das Kind seines Selbst bewusst wird. Es kann dann auch unterscheiden, was andere haben und was das Kind selbst hat.
Gesellschaften und Traditionen
Gerade in der skandinavischen Kultur ist Neid verpönt. Laut dem Jantegesetz (norwegisch/dänisch: Janteloven, schwedisch: Jantelagen) ist es verpönt, sich selbst als besser oder klüger darzustellen als andere es sind. Es beschreibt allgemeingültig und gebräuchlich wie man mit anderen Menschen umgehen soll. Beispielswese ist die erste Regel „Du sollst nicht glauben, dass du etwas Besonderes bist“. Eine solche Einstellung kann durchaus als Resilienzfaktor wirken und Neid vorbeugen. Es ist sozusagen eine Norm in den nordischen Ländern, nicht auffallen zu wollen, sich zurückzuhalten. Dies stärkt natürlich das Gemeinschaftsgefühl und Hierarchien treten in den Hintergrund. Es gibt in Schweden ebenfalls ein Wort, dass man in etwa mit „das rechte Maß“ oder „genau richtig“ übersetzen könnte - lagom. Ein Vergleich unter den Mitgliedern der Gesellschaft ist kaum möglich, denn nach der Norm des Jantelagen und lagom sind alle gleich, keiner soll sich hervortun und Neid wird nahezu überflüssig. Viele Europäer beneiden die Skandinavier um dieses System, doch auch manche Skandinavier brechen heutzutage aus dieser Welt aus…
Autorin: Sylvia Kraus (Impulsdialog)
Quellen:
Bucher, A. (2011). Geiz, Trägheit, Neid & Co. In Therapie und Seelsorge. Springer.
Freud, S. (1921). Massenpsychologie und Ich-analyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag.
Schmidt-Atzert, L. (1996). Lehrbuch der Emotionspsychologie. Stuttgart: Kohlhammer.
http://www.slate.com/articles/news_and_politics/roads/2013/09/sweden_s_lagom_the_single_word_that_sums_up_the_swedish_psyche.html
Bild: De Silvestre, Louis. Dresden, Residenzschloß, Thronsaal „Herkules stürzt Zwietracht, Neid und Haß“ von Louis de Silvestre - Fotothek. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Df_wm_0005065_Silvestre,_Louis_Dresden,_Residenzschlo%C3%9F,_Thronsaal_Herkules_st%C3%BCrzt_Zwietracht,_Neid_und_Ha%C3%9F.jpg#/media/File:Df_wm_0005065_Silvestre,_Louis_Dresden,_Residenzschlo%C3%9F,_Thronsaal_Herkules_st%C3%BCrzt_Zwietracht,_Neid_und_Ha%C3%9F.jpg
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