Meine Mutter wollte damals immer im Mittelpunkt stehen. Ich glaube rückblickend, dass sie ebenfalls wie ich nun auch, unter Depressionen litt.
Meine Beziehung zu ihr war dadurch immer angespannt. Locker und harmonisch – wie ich es von anderen kannte – war es zwischen uns nie. Bei meinem Vater habe ich mich vertrauter und angenommener gefühlt. Aber er hatte oft nur sehr wenig Zeit für mich. Er war viel arbeiten. Vielleicht gab es deswegen so viel Streit, vielleicht hat sich meine Mutter allein gelassen gefühlt. Wer weiß...
Was aber stimmt, ist, dass sich meine Mutter sehr einsam gefühlt hat. Ich musste immer für sie da sein, sonst gab es Ärger, Vorwürfe und Sticheleien. Meine Mutter hat viel bei mir abgeladen, was sie belastete, nervte oder frustrierte. Ich habe für sie alles geschluckt und immer bis zum Ende zugehört. Mein Vater ist dann recht plötzlich bereits mit 58 Jahren verstorben. Das war eine schlimme Zeit für mich. Ich glaube so richtig getrauert habe ich bis heute noch nicht – vielleicht konnte ich es auch nicht, denn meine Mutter klammerte danach noch mehr als je zuvor. Sie ist mittlerweile 76 Jahre alt.
Durch mehr Distanz im letzten Jahr hat sich unsere Beziehung gebessert. Den Abstand hätte ich vielleicht schon eher gebraucht – und ich meine damit nicht den räumlichen Abstand. Durch meine Psychotherapie, die ich nun seit 2 Jahren mache, ist mir einiges bewusst geworden. Ich habe meine Mutter und ihr Schicksal zunehmend loslassen können. Ich habe mein Schicksal von ihrem getrennt und fühle mich jetzt leichter damit.„Sich selbst wichtig zu nehmen ist kein leichter Weg. Das habe ich in den vergangenen 24 Monaten erfahren. Es klingt vielleicht einfach, "Ich tu mir was Gutes", "Ich kümmere mich um mich" ... Worte sind das eine - die Gedanken, das (schlechte) Gewissen und eine Art innerer Druck, das andere."
Ich habe viel geübt, mir bewusst gemacht und dabei immer eine gute Unterstützung durch meine eigene Familie gehabt. Das war und ist das Wichtigste – meine eigene Familie. Ich denke immer, dass 2 Jahre so viel Zeit sind und nun alles gut sein müsste. Aber ich fühle, dass es erst der Anfang ist. Oft kommen bekannte Gewohnheiten oder „alte Muster“ bei mir wieder hoch. Ich habe aber wachsame Menschen um mich herum, die mir helfen – und ich lasse mir helfen. Mittlerweile.
Mein Körper scheint sich langsam wieder zu stabilisieren. Keine ständige Übelkeit mehr, kein morgendliches Erbrechen. Kaum noch Unruhe und Herzrasen. Ich kann Dinge mehr genießen, mich mehr auf das Hier und Jetzt konzentrieren und somit wieder einen Alltag aufbauen. Ich lerne langsam zu genießen. Ich kann vor allem das genießen, was ich habe und was mir wichtig ist. Was ich viel zu lange gar nicht mehr richtig sah. Einen normalen Alltag, wie ihn tausende Andere haben und ich ihn immer irgendwie wollte. Normal ist dabei nicht abwertend gemeint.
Ein normaler Alltag ist aus meiner Sicht etwas Kostbares. Einfach und kostbar. Einfach kostbar.
Ich denke als Erwachsene komme ich endlich im Leben an. Ich wurde besser aufgefangen und es wird sich um mich gekümmert, wenn ich möchte. Ankommen bedeutet für mich der Anfang eines Weges – ein anderer als der, den mir meine Eltern damals zeigten. Ich spüre, dass er noch lang sein wird, aber meine Gefühle machen mir keine Angst mehr, sondern Mut. Schwere Phasen werden wiederkommen, vielleicht wird sich die Depression wieder zeigen wollen, aber nun denke ich zu wissen, welcher Weg der Richtige ist: mein eigener persönlicher Weg. Auf dem Alten habe ich mich alleine durchgekämpft – Jetzt gehe ich einen Neuen."
Die Geschichte inspiriert und motiviert zugleich, sich mit eigenen Emotionen auseinander zu setzen und sich ihnen zu stellen. Auch wenn das bedeutet, sich Hilfe zu suchen und so die Vergangenheit aufzuarbeiten.
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