Dieser Beitrag wird einen kleinen Einblick in die psychologische Evolutionsforschung geben. Die unterschiedlichen Lebewesen dieser Erde zeigen spezifische Verhaltensweisen und Eigenschaften. Aus Perspektive der Evolutionsforschung kann man die Entstehung charakteristischer Muster und Besonderheiten der verschiedenen Arten anhand der jeweiligen Entwicklungsgeschichte nachvollziehen.
Bestimmte Eigenschaften (lange Schnäbel, dichtes Fell, bestimmte Anordnung von Fingerknochen, Paarungsstrategien, usw.) haben zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu beigetragen, dass diese Lebewesen einen Vorteil für das eigene Überleben und ihren Fortpflanzungserfolg hatten. Spezifische Anpassungen einer Art sind adaptiv, wenn sie an die jeweiligen Umweltbedingungen (Klima, Nahrungsangebot, Paarungsmarkt, usw.) angepasst sind.
Ein Ansatz um die menschliche Psyche verstehen zu können, also aktuelles menschliches Erleben und Verhalten erklären zu können, bezieht unsere evolutionären Ursprünge in die Überlegungen mit ein. Die evolutionäre Psychologie betrachtet heutige menschliche Verhaltensmuster als Lösungen für adaptive Probleme unserer Vorfahren. Methoden dieser Forschungsperspektive sind beispielweise Analysen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten – zwischen Menschen, zwischen verschiedenen Tierarten aber auch zwischen Menschen und Tieren. Können Evolutionsforscher auf diese Weise Alltagsphänomene plausibel erklären? Was kann die Evolution zum Puzzle Mensch beitragen?
Der Fahrstuhl-Effekt
Was passiert typischerweise, wenn Sie einen Fahrstuhl mit einer anderen fremden Person betreten? Häufig läuft das ungefähr so ab: Nachdem man sich vielleicht flüchtig milde angelächelt hat, sucht man sich seinen Platz im Fahrstuhl – und zwar ein gutes Stück entfernt von der anderen Person. Selten kommt es vor, dass man sich direkt nebeneinander stellt. Hat man seinen Platz gefunden und ist der Fahrstuhl in Bewegung, passiert auch nicht wirklich viel mehr. Man steht so da und weiß vielleicht nicht genau, wohin man den eigenen Blick richten sollte. Viele Menschen beobachten, wie sich die Stockwerkanzeige verändert. Vielleicht sehen manche auf den Boden und mustern ihre Schuhe. Andere betrachten die vielen Knöpfe oder lesen die Gewichtsbeschränkung und sonstige Hinweisschilder durch. Vielleicht begutachtet man seine Reflexion im Spiegel und überprüft, ob Frisur und Makeup sitzen. Jedoch sieht man fast nie direkt zur anderen Person. Ihr direkt in die Augen zu sehen wäre irgendwie merkwürdig oder unangenehm. Treffen sich die Blicke zwischen zwei Fremden in einem Fahrstuhl dann doch einmal, wendet man den Blick relativ rasch wieder ab.
Warum verhalten wir uns so? Man kann hierfür zum Einen das Konzept des "personal space" anführen, welches 1966 vom amerikanischen Anthropologen Edward T. Hall beschrieben wurde. Der personal space ist eine Art Komfortzone, der uns wie eine Blase umgibt. (Genauer gesagt beschreibt Hall vier verschiedene Blasen, s. Graphik). Kommen fremde Menschen dem eigenen personal space zu nahe (z.B. in einer überfüllten U-Bahn), fühlt man sich unwohl, in manchen Situationen vielleicht auch ängstlich oder bedroht. Freunde und nahestehende Familienmitglieder sind in diesem Radius akzeptiert und erwünscht. Die Größe des personal space kann von Person zu Person sehr unterschiedlich ausfallen.
Dabei können individuelle Persönlichkeitsmerkmale, aber auch Kulturzugehörigkeit eine Rolle spielen. Beispielsweise fällt der personal space in südlichen Regionen tendenziell etwas kleiner aus, das heißt, die Menschen kommen sich dort näher als im Norden. Dies lässt sich z.B. anhand der unterschiedlichen Begrüßungsformen beobachten, da im Ländervergleich recht stark variieren: Während es in Deutschland gängig ist, sich einander die Hände zu schütteln, küssen sich Südeuropäer zur Begrüßung meist auf die Wangen.
Der personal space kann aber auch innerhalb derselben Person situationsabhängig variieren und sich den jeweiligen Umgebungen anpassen. Auf einem gutbesuchten Konzert und in der dazu passenden Stimmung macht einem die Nähe zu völlig fremden Personen nichts aus – im Gegenteil, viele empfinden sie dann positiv. Auch unter der Wirkung von Alkohol oder anderer psychotroper Substanzen scheint sich der personal space einiger Menschen zu verändern (tendenziell eher zu verkleinern). Man kann also schlussfolgern, dass das typische Fahrstuhlverhalten nach Halls Ansatz zustande kommt, indem es die beste Lösung für die Respektierung der jeweiligen Komfortzonen darstellt. Nach Möglichkeit verhalten sich die meisten Menschen so, dass alle Beteiligten ihr persönliches „Territorium“ beibehalten können und sich deswegen wohl fühlen.
Quelle der Graphik: Wikipedia
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