Selbstbewusstsein stärken

Das Potential in der Angst - Vom Mut Angstzustände zu überwinden

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„Mut hat die Angst zur Voraussetzung. Mut heißt, trotz Angst kühn zu denken und zu handeln. Der Ängstliche ist der Mutige. Vor den Furchtlosen kann einem dagegen Angst werden.“ – A. Retzer

Angst ist ein jedem bekanntes Gefühl, das sich in Gegenwart einer Bedrohung einstellt. Emotional wird Angst als sehr starke Besorgnis und Verunsicherung wahrgenommen, begleitet von unangenehmer körperlicher Erregung. Außerdem wird Angst häufig als Gegenpol zum Mut aufgefasst, als zwei sich ausschließende Zustände. Doch wird dabei vergessen, dass es die Angst ist, die mutige Handlungen erst ermöglicht. Sie ist es, die den Menschen auf Flucht oder Verteidigung vorbereitet. Die Angst begleitende körperliche Reaktion deutet darauf hin, welchen Gewinn die Angst mit sich bringt: Sie dient dazu, dass der Mensch die Situation und seine Möglichkeiten reflektiert mit dem Ziel, das eigene Überleben zu sichern.

Heute ist die Angst um das reine Überleben in eher seltenen Fällen von Bedeutung. Existenzielle Bedürfnisse wie Nahrung und Schlaf können zumeist gedeckt werden. Auch das Bedürfnis nach Sicherheit ist in vielen Nuancen erfüllt. Wohnraum, finanzielle Absicherung, ob durch Beruf oder staatliche Hilfe, sind gegeben. Und dennoch leben wir auch heute in einer von Angst geprägten Gesellschaft. Wir bangen um unseren Arbeitsplatz, um die Gesundheit der Familie, den eigenen Status, die Position in der Gesellschaft. Wie ist aber diese Menge an Ängsten zu erklären, zumal die grundlegend existenziellen Bedürfnisse doch gesichert sind?

 

Muss die Angst individuell bekämpft werden?

Heutzutage wird Angst hauptsächlich als Feind betrachtet, eine Schwäche, die die aktuelle Leistung unberechenbar verändert. Und was unberechenbar ist, ist unerwünscht, denn es stört in unvorhersehbarer Weise den Tagesablauf, die Aufgabenbewältigung, den Ertrag.

Angst wird gesellschaftlich als Störfaktor behandelt. Niemand möchte ein Mensch mit gesellschaftlichem Störfaktor sein. Die Angst wird nicht mehr in der Öffentlichkeit angesprochen, sondern nur individuell verarbeitet und vor allen Dingen bekämpft – bekämpft, damit der Störfaktor Angst nicht wieder auftritt.

Angstverarbeitung ist nur privat mit Familie, Freunden oder Beratern gegeben, sofern solche offenen Ohren gefunden werden. Das solche Ressourcen in Anspruch genommen werden, zeigt, wie hilfreich andere Personen sind, die eigene Angst zu verarbeiten.

Durch das Wählen eigener Worte, um die Angst zu beschreiben, kann beim Erzähler ein wachsendes Kontrollgefühl entstehen. Es handelt sich um kein namenloses Grauen. Und dieses in Worte fassen ermöglicht es dem Zuhörer, die Angst aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Der Zuhörer vermag Ressourcen zu sehen, Auswege und Alternativen zu bestimmen, die der Erzähler noch nicht in Betracht gezogen hat. Doch führen Ängste wie Arbeitsplatzverlust häufig auch bei Angehörigen zu Resignation. Daher stellt sich die Frage, wie mit Ängsten nun umgegangen werden sollte.

 

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7 Strategien zum Umgang mit Angst

Für den Umgang mit Angst gibt es kein Patentrezept, jedoch Anhaltspunkte, die für jeden nützlich sein können, um trotz oder gerade wegen der Angst entscheidungsfähig und handlungsfähig zu bleiben. Im Folgenden sind solche Anhaltspunkte gelistet:

  • Setzen Sie sich mit Ihrer Angst auseinander!
    Die Angst ist ein in uns angelegter emotionaler Prozess. Wenn Sie versuchen sich rational mit ihren Ängsten auseinanderstetzen, können Sie unter Umständen verhindern, dass die Angst stärker wird.
  • Bewerten Sie die Angst nicht als negativ!
    ... sondern als körperliches Signal, dass etwas nicht stimmt. Dieses macht darauf aufmerksam, dass Sie auf sich achten sollen, um Ihr Wohlbefinden zu sichern. So wird die Angst stärker positiv besetzt.
  • Machen Sie sich bewusst, dass Sie Ihre Angst selbstständig beeinflussen können!
    Gedankenkreisen und übermäßige Vermeidung stärken sie. Wenn Sie Ihre Angst bewusst abrufen und aufrecht erhalten, dann nimmt die Angst irgendwann ab. Der Körper gewöhnt sich an den Zustand.
  • Nutzen Sie die Zeit, die Sie für Ihre Angst aufwenden!
    Wie Sie merken, kreisen Ihre Gedanken gerne um die Angst und die mit der Angst assoziierten möglichen Entscheidungen, Ihre Aufmerksamkeit hat die Angst daher ohnehin. Nutzen Sie nun diese aufgewendete Zeit, indem Sie reflektieren. Welche Prinzipien, welche Einstellungen, welche Bedürfnisse stehen hinter Ihrem Entscheidungsverhalten? Wie kompatibel sind Ihre Prinzipien, Einstellungen und Bedürfnisse mit Ihren Entscheidungsmöglichkeiten? Wenn Sie sich darüber im Klaren werden, dann gewinnen Sie durch Ihre Angst sogar an Entscheidungsmöglichkeiten.
  • Reflektieren Sie Ihr Entscheidungsverhalten!
    Welche Perspektiven nutzen Sie? Welche Kontexte ziehen Sie in Betracht? Blicken Sie aus gedanklicher, emotionaler und gesundheitlicher Sicht auf Ihre Entscheidungen? Viele Perspektiven sind immer gut, denn nur so können zusätzliche Möglichkeiten gesehen und damit auch genutzt werden.
  • Nutzen Sie Angst als Anzeiger, dass Veränderungen möglich oder sogar nötig sind!
    Denken Sie darüber nach, ob eine Veränderung für Sie erwünscht ist und bestimmen Sie dadurch selbst Ihr Leben.
  • Akzeptieren Sie die Existenz unkontrollierbarer Angstreize!
    Manche Angstreize können nicht unmittelbar beseitigt werden und sind damit unkontrollierbar. Es lohnt sich nur, sich den Kopf über mögliche Lösungen zu zerbrechen, wenn Sie diese auch realistisch sind. Vielleicht ergeben sich später Lösungswege, vielleicht auch nicht.

Wer diese Anhaltspunkte beherzigt, wird seine Angst nicht verlieren, doch ihren Wert zu schätzen wissen. Sie fördert Selbstreflexion und Selbstbestimmung und macht es dem Menschen möglich, mutig zu sein. Wer sich dessen wenig bewusst ist, neigt dazu, mit ungünstigen Strategien die Angst zu bekämpfen. Sich dieser Strategien bewusst zu werden ist ein erster Schritt, um die Selbstreflexion zu stärken. Daher sind im Folgenden solche Strategien beschrieben, die keinen Erfolg im Umgang mit der Angst versprechen oder sogar schädlich sein können.

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Welche Strategien zum Umgang mit Angst sind zu vermeiden?

Zur Angstbekämpfung werden verschiedene Mittel zu Rate gezogen. Diese können innerliche Strategien sein (z.B. Gedankenkreisen) oder auch externe Strategien (z.B. Alkohol) sein. Im Folgenden werden ungünstige Strategien im Umgang mit der Angst gelistet:


• Vor der Angst selbst davon zu laufen, führt nicht zum Erfolg.
Je stärker Sie dies versuchen, umso mehr werden Sie scheitern. Veranschaulichen Sie folgendes Beispiel: Denken Sie nicht an einen rosa gestreiften Elefanten. Woran werden Sie als erstes gedacht haben? An eben jenen rosa gestreiften Elefanten. Genau so läuft es mit der Angst: je mehr Sie sie aktiv zurückdrängen, desto häufiger und intensiver kommt sie zurück.

• Pessimistische Spekulationen bleiben Spekulationen
Sich jeden möglichen schlimmen Ausgang einer Situation auszudenken, bewirkt höchstens eines: Kopfschmerzen. Wenn Sie auf Dinge fokussieren, die noch nicht eingetreten sind, sehen Sie nicht mehr die gegenwärtigen Perspektiven und Möglichkeiten.

• Angst als selbsterfüllende Prophezeiung
Wenn Sie schon einmal nervös vor einem Vortrag oder einem Vorstellungsgespräch waren, dann ist Ihnen das Folgende vielleicht geläufig: Sich selbst beobachten, um bloss nicht unangenehm aufzufallen. Dies ist erst einmal kein schlechter Gedanke, da diese Strategie Reflexion beinhaltet. Doch stützt sich diese Strategie auf die Vermeidung eigener Verhaltensweisen. Das kann dazu führen, dass man sich tatsächlich daneben benimmt, weil man nicht mehr an seine eigentliche Aufgabe (Vortrag, Gespräch etc.) denkt.

• Externe Hilfsmittel zur Angstbekämpfung
Ablenkung wie Filme oder Musik können kurzfristig sehr wirksam sein. Entspannung ist eine positive Folge und kann den Blick auf die Situation klären. Sie einzusetzen ist vollkommen legitim. Langfristig hilfreich wird diese Strategie allerdings nur, wenn sie mit Selbstreflexion kombiniert wird.

• Selbstmedikation als Ausweg?
Rauschmittel, ob legal oder illegal, sind dauerhaft keine geeigneten Mittel, um konsequent mit Angst umzugehen. Um genau zu sein, wird damit Angst nicht bekämpft, sondern nur vermieden. Neben der Erfolglosigkeit dieser Strategie, ist sie auch körperlich und psychisch schädlich.

Es gibt so viele günstige und ungünstige Strategien zum Umgang mit Angst, die im Internet abgerufen werden können. Berechtigterweise stellt sich die Frage, ob wir als Menschen im Vergleich zu unseren Vorfahren ängstlicher geworden sind.

 

Haben wir mehr Angst als unsere Vorfahren?

Dadurch dass jeder mit seiner Angst weitgehend alleine konfrontiert ist, stellt sich immer wieder die Frage, ob Ängste über die Entwicklung des Menschen zugenommen haben. Um dies zu berücksichtigen, bräuchte man Vergleichswerte, passende wissenschaftliche Arbeiten von vor Jahrzehnten und Jahrhunderten, die es nicht gibt. Was allerdings auffällt, ist, dass sich die Angstreize selbst verändert haben. Durch den zunehmenden wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt, sind Angstfaktoren wie Erkältungen und Obdachlosigkeit weitgehend irrelevant geworden.

Doch ist der Fortschritt nicht flächendeckend: Während heute im globalen Norden fast keiner mehr an Erkältungen stirbt, wächst die Angst vor „neueren“ Krankheiten wie HIV. Wer keine Obdachlosigkeit befürchten muss, fürchtet sich vielleicht vor Arbeitslosigkeit. Wer keinen wütenden Göttern mehr traut, den besorgt ein möglicher Meteoriteneinschlag. Unabhängig davon, wie weit wir kommen wie viele Angstauslöser wir beseitigen – wir erfahren durch den Fortschritt neue Lücken des Unwissens und finden neue Angstauslöser. Dies ist jedoch nur ein natürlicher Prozess, der nicht verhindert werden kann. Dies zu verstehen ist jedoch ein guter Schritt, um auf den Boden der eigenen Möglichkeiten zurückzukehren.

Fazit

Unabhängig vom Zeitalter, in dem wir geboren werden, der Mensch ist ein Wesen, welches immer Angst ausgesetzt sein wird. Ihren Sinn hat sie in der Reflexion und Sicherung unseres (Über)Lebens. Damit stellt die Angst einen optimalen Anstoß dar, über den eigenen Weg, die eigenen Ziele, Einstellungen, Werte etc. nachzudenken, um sich kompetent in einer Situation zu entscheiden. Wenn wir dies beherzigen und aufhören, die Angst als bekämpfenswerten Feind zu betrachten, steigert diese Sichtweise sowohl unser Wohlbefinden als auch unsere Kompetenz zur Selbstbestimmung.


Autor: Miriam Jähne (Impulsdialog)

 

Quellen:

Retzer, A. (2007). Angst ist ein Mittel zur Selbstbestimmung. Psychologie Heute, 02/07.

Wittchen, H.-U. & Hyer, J. (Hrsg.) (2011). Klinische Psychologie und Psychotherapie. Berlin: Springer

 

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Ein Kommentar

Die Strategien fand ich sehr inspirierend, aber ich glaube dass sie nicht ganz so leicht umzusetzten sein werden, wie man hier annimmt. Trotzdem gut strukturiert und angenehm geschrieben!
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JuliaS

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