Viele Paare wünschen sich ein Kind. Doch bereits in den ersten Wochen kann dieser Traum zum Albtraum werden: Das Baby schreit unaufhörlich. Egal, was die Eltern auch versuchen, es ändert nichts am Verhalten des Babys. Das Gefühl, als Eltern versagt zu haben, wird stärker und auch der Druck von außen steigt an. Hilflosigkeit macht sich breit. Dabei ist das Verhalten des Kindes in den meisten Fällen normal. Nur in Ausnahmen sollte proffessionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.
Sie sind stolze Eltern eines neuen Erdenbürgers, der nun seit ein paar Wochen oder Monaten zu Hause ist – und sie sind mit den Nerven am Ende. Ihr Baby schreit permanent die meiste Zeit des Tages und lässt sich durch nichts beruhigen - und sie wissen nicht mehr, was sie machen sollen. Sie fühlen sich nur noch hilflos und ausgelaugt.
Etwa ein Drittel aller Eltern beklagen sich in den ersten Jahren über Schwierigkeiten mit dem Schlafen, Schreien und Füttern. Die Zahlen der belasteten Eltern nahm in den letzten Jahren stetig zu, was dazu führte, dass „Schreiambulanzen“ eingerichtet wurden, um den betroffenen Eltern zu helfen und sie individuell zu unterstützen. Das permanente Schreien dieser Kinder löst bei den Eltern (meistens bei den Müttern ) unter Umständen schwerwiegende seelische und körperliche Symptome aus.
Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist, wie alle anderen Beziehungen im Leben auch, eine „Wechselbeziehung“. Die Reaktionen des Kindes lösen wiederum bei der Mutter Reaktionen aus – und umgekehrt. Es kommt zu einer „Spirale“ der Gefühle und Reaktionen.
Wenn alle Versuche, das Kind zu beruhigen, über längere Zeit fehlschlagen, kann es bei der Mutter z.B zu folgenden emotionalen und körperlichen Symptomen kommen:
- Hoffnungslosigkeit ruft Herz-Kreislaufbeschwerden hervor
- Wut kann zu hohem Blutdruck führen
- Gefühl des Versagens geht mit Schwindel einher
- Gefühl der Wertlosigkeit vermindert das Selbstvertrauen und fördert Selbstvorwürfe, Aggressionen, Depressionen, Erschöpfung, Appetitmangel und Suizidgedanken
Diese auftretenden Gefühle machen den Müttern wiederum Angst. Sie machen sich Vorwürfe, weil sie es nicht schaffen, ihr eigenes Kind zu beruhigen und zu einem glücklichen Kind zu machen. Daraus, und aus den Reaktionen der Umwelt, die von einer Mutter „verlangen“ ihr Kind zu beruhigen, entsteht Hoffnungslosigkeit und gegebenenfalls auch Aggression und Wut. Aufgrund der geltenden gesellschaftlichen „Normen“ vertrauen diese Mütter sich meistens weder ihrem Arzt, der Hebamme oder der direkten Umwelt an, was diesen Teufelskreis zunehmend verschlimmert.
Eine Hilfe für die betroffenen Mütter kann manchmal schon die Aufklärung sein, wie viel schreien „normal“ ist, die Unterstützung der Familie oder auch nur eine veränderte Kommunikation mit dem Baby. Auch Neugeborene kommunizieren bereits, die Eltern müssen aber wissen und lernen, wie diese Kommunikation funktioniert. Meistens entstehen die Schwierigkeiten zu Hause nämlich aus einer inadäquaten Kommunikation mit dem Kind. Gerne listen wir Ihnen in Laufe dieses Artikels dazu sogenannte „Feinzeichen“ der Babys auf. Diese Zeichen können für frischgebackene Eltern ein Anhaltspunkt sein, um ihr Kind besser zu verstehen.
Ein Anhaltspunkt für die „Norm“ der „Schreimenge“ besagt, dass Neugeborene in den ersten drei Monaten bis zu zwei Stunden täglich schreien – aber auch gibt es individuelle Unterschiede. Es gilt die Regel, wenn Kinder mehr als drei Stunden pro Tag an mehr als drei Tagen ohne ersichtlichen Grund schreien, sollten betroffene Eltern mit dem Kinderarzt sprechen.
Eine weitere Hilfe für die Eltern kann sein:
- Besuch einer Beratungsstelle
- Freiräume schaffen
- Entspannungstraining
- Stressbewältigungsstraining
- Organisationstraining
Feinzeichen für Ihr Kind
Autonomes physiologisches System
Verhaltenszeichen für | Offenheit / Aufmerksamkeit | Abwendung/Belastung |
---|---|---|
Hautfarbe | • rosige Haut | • marmorierte, rötliche oder blasse Hautfarbe • Wechsel der Hautfarbe |
Atmung | • gleichmäßige Atmung | • gepresste, unregelmäßige Atmung • Atempausen • seufzen • gähnen |
peripheres Nervensystem | • zittern • Zuckungen • grimassieren |
|
Innere Organe (viszerale Zeichen) |
• Schluckauf • husten, spucken, würgen, niesen • verschlucken |
motorisches System
Verhaltenszeichen für | Offenheit / Aufmerksamkeit | Abwendung/Belastung |
---|---|---|
Muskeltonus | • entspannte Körperhaltung, gleichmäßige Körperhaltung |
• Überstreckung (Rücken, Kopf) • Finger spreizen, Fußzehen spreizen oder stark beugen • Fäustchen machen • Wechsel im Muskeltonus (schlaff, entspannt) • plötzlicher Tonusabfall • schlaffe Arme und Beine • Schulter hochziehen |
Tempo | • ruhige, langsame Bewegungen | • schnelle, hektische Bewegungen • erstarrt, bewegungslos |
Art der Bewegungen | • weiche, gut modulierte Bewegungsabläufe | • unkoordinierte Bewegungen • diffuse Bewegungen • Rudern mit den Armen • abgebrochen, nicht fließend • sich zurück lehnen • Arme abwinkeln |
System der Schlaf-/Wachzustände
Verhaltenszeichen für | Offenheit / Aufmerksamkeit | Abwendung/Belastung |
---|---|---|
Schlaf-/Wachzustände | • wach, wach und aufmerksam • stabile emotionale Balance • fängt kleinrere oder größere Veränderungen oder Belastungen gut ab |
• brüchige Balance • häufiger Wechsel der Verhaltenszustände • wimmern, quengeln, weinen, schreien • dösen, einschlafen |
Interaktives System
Verhaltenszeichen für | Offenheit / Aufmerksamkeit | Abwendung/Belastung |
---|---|---|
Schlaf-/Wachzustände | • Blickkontakt suchen, aufnehmen, halten |
• blinzeln • Augen reiben • starren • wegschauen, vorbeischauen, seitliche Blickwinkelwendung • Augen schließen • Augen aufreißen |
emotionaler Druck | • leicht geöffneter Mund • lächeln • widerlächeln • fröhliches Gesicht • offener, interessierter Gesichtsausdruck |
• Stirn runzeln, Augenbrauen zusammenziehen • Lippen schmollen • Lippen zusammen kneifen • Gesichtsmaske • ärgerlicher Gesichtsausdruck, Ausdruck von Ekel • Weingesicht • Zunge herausstrecken |
Gestik | • Kopfbewegung zur Bezugsperson • nach der Bezugsperson greifen • Augenbrauen heben • Kinn nach vorne strecken • leicht erhobener Kopf |
• abwehrende Handbewegung oder anwehrende Handflächen • Kopf senken • hochziehen der Schultern • sich oder Kopf wegdrehen, abwenden • abwertende Handbewegung • Hand vor das Gesicht legen • sich winden • Gegenstand hauen, klopfen |
Vokalisation/Sprache | • exploratives Plappern, lallen • lautieren • Ruflaut |
• wimmern, quengeln, weinen, schreien |
Selbstregulation/ selbstberuhigende Kompetenzen
Für den eigenaktiven Umgang mit Stressoren in den jeweiligen Systemen beschreiben Duffy & McAnulty ein fünftes System der Selbstregulation (Als, Duffy & McAnulty 1989). Mit Hilfe bestimmter selbstgesteuerter und selbstberuhigender Verhaltensweisen kann ein Baby trotz kleiner Störungen und Belastungen aufmerksam mit seiner Umwelt interagieren.
Selbstregulierende Verhaltensweisen zeigen sich in allen vier genannten Subsystemen. Je mehr das Kind jedoch bei zunehmender Belastung auf den unteren Ebenen (d.h. auf dem motorischen oder autonomen System) reagiert, desto mehr nehmen seine Kompetenzen zur Selbstregulation ab.
Diese Regulations- bzw. Annäherungsverhaltensweisen sind z.B.:
- sich selbst festhalten (z.B. an der Kleidung)
- Hände und Füße zusammenlegen/falten
- Hand in den Mund nehmen/ zum Kopf/Ohr nehmen
- Hand am Körper, sich selbst berühren
- Daumen, Schnuller,an der Hand lutschen, nuckeln
- Schmusetier oder Schmusetuch nehmen
- sich an einem Gegenstand festhalten
- sich an einer Person festhalten
- sich abstützen
- sich an eine Person anschmiegen, einkuscheln
Abwehrverhaltensweisen
Durch Zeichen direkter Abwendung und Anspannung kann ein Kind zeigen, dass es überfordert ist und seine Balance verliert, und sich dabei gleichzeitig der Stimulation entziehen. In diesem Sinne können auch Abwendung und Abwehr die Regulation des Kindes unterstützen.
Wir danken Corinna Wietelmann für diese Zusammenfassung. Frau Wietelmann ist psychologische Beraterin bei der Gesundheitsberatung Stormarn
Weiterführende Links
Lernmappe Entspannung für Eltern
Selbsthilfe Entspannungstrainings für Eltern
Foto: Steffen Walther
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